Drehort Bahnhofsmission Kassel

Foto: Christoph Baumanns

Es ist ein Dokumentarfilm mit Starbesetzung: Die Hauptrollen sind besetzt mit den Gästen Barbara D., Karl B. und Bernhard W. (Namen geändert), den ehrenamtlich Mitarbeitenden Elisabeth Koch und Petra Seemann und mit Demijan Kalkisim, der den praktischen Teil seines Dualen Studiums Sozialarbeit in der Bahnhofsmission leistet. Wichtige Nebenrollen spielen die Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck Dr. Beate Hofmann und der katholische Bischof des Bistums Fulda Dr. Michael Gerber.

Bibelarbeit für den 3. Ökumenischen Kirchentag
Hofmann und Gerber sind im Einsatz für den 3. Ökumenischen Kirchentag im Mai in Frankfurt und haben sich als einen ihrer Drehorte die Bahnhofsmission Kassel ausgesucht, dort wo schon seit dem Jahr 1900 Ökumene gelebt und nach biblischen Werten gehandelt wird. Träger der ökumenischen Bahnhofsmission Kassel-Wilhelmshöhe sind der Caritasverband Nordhessen-Kassel e.V. und das Diakonische Werk Region Kassel.

Bibelarbeit im Video
Wer sich die Bibelarbeit von Bischöfin Dr. Beate Hofmann und Bischof Dr. Michael Gerber anschauen will, kann das ab Samstag, 15. Mai, 8:00 Uhr tun. Dann ist der Film auf den Internetseiten des 3. Ökumenischen Kirchentags www.oekt.de online abrufbar:

Heil werden
Es ist eine der berühmten Heilungsgeschichten im Johannes-Evangelium, die sich die beiden Amtsträger*innen für ihre Dialog-Bibelarbeit ausgesucht haben: „Rabbi, wer hat gesündigt?“ fragen die Jünger*innen Jesus, als ihnen ein Mann begegnet, der seit Geburt blind ist. „Er selbst oder seine Eltern, sodass er blind geboren wurde?“ (9,2)

Foto: medio.tv

Schuld sein
Für Demijan Kalkisim ist das im übertragenen Sinn eine grundsätzliche Frage seiner Arbeit in der Bahnhofsmission: Wer ist schuld am eigenen Schicksal? Die Person selbst oder andere? „Ah das ist ein Blinder und das ist eine Obdachlose und das sind Drogenabhängige. Wir neigen dazu, die Menschen in Schubladen zu stecken. Das macht es leichter, sich ihnen gegenüber zu verhalten. Man bleibt in Distanz.“ Wenn Kalkisim etwas bei den Begegnungen in der Bahnhofsmission gelernt hat, dann, dass der Mensch nie nur der ist als der er scheint: „Ich lerne hier, dass jede Frau und jeder Mann, das Kind, die Jugendliche ein Mensch mit einer eigenen Geschichte ist. Und dass es sich lohnt, nach dieser Geschichte zu fragen.“

Da sein, offen sein, nachfragen
Für Elisabeth Koch, die seit 21 Jahren zum ökumenischen Team der Bahnhofsmission gehört, ist das Zusammensein und Kümmern um die vielen unterschiedlichen Menschen eine starke Motivation für ihr Engagement. Eigentlich wollte sie aufhören. „Das Alter“, sagt sie schmunzelnd, „aber zu Hause habe ich gemerkt, wie sehr mir die Begegnungen und Geschichten in der Bahnhofsmission fehlen. Dass wir hier auf die Leute zugehen, gefällt mir besonders.“ Petra Seemann ist ganz neu im ehrenamtlichen Einsatz. Sie staunt: „In der Bahnhofsmission sehe ich eigentlich dieselben Menschen wie woanders auch. Aber hier begegne ich ihnen, indem wir in Gespräche kommen und dadurch Nähe entsteht. Ich kann etwas für Besucherinnen und Besucher tun, höre ihnen zu.“ Was Seemann gerade umtreibt, ist die Frage, wie glaubwürdig die abenteuerlichen Geschichten sind, die manche Leute von sich erzählen.

Keine Weltenretter
„Wir sind keine Weltenretter“, sagt Demijan Kalkisim, „wir lernen wahrzunehmen, was die Leute, die zu uns kommen, brauchen. Ich sag’s mal in Groß: Hier in der Bahnhofsmission lerne ich das Menschliche am Menschen schätzen. Das ist ein Geschenk.“

„Und morgen sieht die Welt anders aus.“
Für Barbara D. kommt im Leben alles anders als man denkt. „Wenn mir jemand vor 30 Jahren gesagt hätte, dass ich mal zur Bahnhofsmission gehe, ich hätte gesagt: Das glaubst du doch selber nicht.“ Barbara D. hat keinen Beruf, keine Arbeit. Wer Schuld hat an ihrer Situation? „Man kann nicht immer sagen, die anderen haben Schuld. Vielleicht hat man auch ein bisschen Schuld dran.“ Barbara W. will keine Details aus ihrer Geschichte „erörtern“. Kindheit, Unfall, Krankheit, Scheidung deutet sie an: „Heute geht es dir gut. Und morgen sieht die Welt anders aus.“ Barbara D. will trotz ihrer Situation menschenwürdig leben. „Die Situation ist wie sie ist, damit muss ich selig werden“, verspricht sie sich und weint.
„Es gibt weit und breit keine Bahnhofsmission, die so gut ist wie die in Kassel“, schwärmt Karl B. von der Gastfreundschaft. Er ist per Bahn immer wieder unterwegs zu Hessens Bahnhofsmissionen. Das Seniorenjahresticket des NVV leistet er sich, die Bahnen und Züge bieten dem Obdachlosen zeitweilig eine gute Unterkunft.
Auch Bernhard W., ehemaliger Sachbearbeiter im öffentlichen Dienst, fühlt sich durch die Wertschätzung gestärkt, die ihm von den Mitarbeiter*innen entgegengebracht werden. Er beginnt seinen Tag in der Bahnhofsmission. Nachmittags hatte er vor Corona oft Verabredungen, jetzt ist es langweilig für ihn. Er kann an keinen Gott glauben, der gütig und gerecht ist, dafür hat W. zu viele Ungerechtigkeiten erlebt. Gott ist für ihn ein Freund, der ihn begleitet. Der über siebzigjährige Bernhard W. träumt von einer Aufgabe, die seinem Leben Sinn gibt. Er würde gerne einen kranken Menschen betreuen und „Religionsphilosophie studieren, das wäre toll!“

Foto: medio.tv

Die Frage nach der Veränderung
Für Bischöfin Hofmann ist das, was Koch, Seemann und Kalkisim erzählen, ein Buchstabieren der biblischen Geschichte in unserer Zeit: „Jesus antwortet auf die Frage der Jünger, wer gesündigt habe: ‚Weder [der blinde Mann] noch seine Eltern haben gesündigt, sondern die Werke Gottes sollen an ihm offenbar werden.‘ Jesus hat also kein Interesse an der Schuldfrage. Er will wissen, was geschehen kann, um die Situation des Leids zu verändern.“
Die Bibeltexte sind aus Sicht von Bischof Gerber oft eine Schule des Sehens: „Was sehe ich? Wie beurteile ich es? Und welche Folgen hat das für mein Handeln? Jesus ist da eindeutig. Und die Menschen, die hier in der Bahnhofsmission arbeiten, sind es auch: Es geht darum, die Situation, in der der leidende und hilfsbedürftige Mensch steckt, zu verbessern. Dazu aber muss man die Situation als solche überhaupt erkennen. Die Bahnhofsmission ist ein ganz besonderer Ort, das zu lernen.“

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